text Johanna Weber

tekst bij solotentoonstelling Passanten bij Galerie Petra Nostheide-Eycke in Nettetal(D), 2007
Passanten

Es ist die Grazilität, das Verzauberte, das Surreale von Mark Kramers Rauminstallationen, das den Besucher der Galerie Petra Nostheide-Eycke gefangen nimmt. Der Besucher betritt eine Traumwelt, in der sich eine Vielzahl von monochromen weißen Menschen in Zentimetermaßen hintereinander durch den Raum bewegen. Es sind ca. 1000 Männer und Frauenfiguren, die kopflos – mit Blättern statt Köpfen – in Momentaufnahmen der Bewegung gefangen, wie ein Ameisenvolk in einer Schlängellinie durch den Ausstellungsraum laufen.

Die menschliche Ameisenstraße beginnt an einem Dachfenster und schlängelt sich über die weiße unebene Raumwand entlang über den Parkettboden der ehemaligen Druckerei an den Metallpfeilern vorbei quer durch den Ausstellungsraum bis hin zu den Fenstern an der gegenüberliegenden Raumseite, wo sie an einer Fensterecke endet und assoziativ ihren Weg hinaus in die Natur fortzusetzen scheint.

Auf den ersten Blick erscheinen die 3cm hohen Figuren alle gleich zu sein. Die Gruppe vereint die Kopflosigkeit und das weiße glatte Blatt auf einem langen dünnen Metallstab, das statt des Kopfes aus jedem einzelnem Figurenrumpf emporragt. Doch bei näherem Hinsehen bemerkt man, dass sich die Figürchen durch individuelle Gestiken und Mimiken, durch Accessoires wie Handtaschen oder Spazierstöcke, in ihrer Kleidung oder auch durch die unterschiedlichen Bewegungsmomente des Gehens, Stehens und der Armhaltungen voneinander unterscheiden.

An sich gibt der Titel der aktuellen Ausstellung in der Galerie Nostheide-Eycke bereits einen Hinweis auf das Thema, mit dem sich der niederländische Künstler Mark Kramer, Jahrgang 1973, mit seinen Arbeiten beschäftigt. Er stellt den Menschen als Passanten dar: als einen Vorübergehenden, der sich durch und in seiner Umgebung wahrnimmt. Mark Kramer beschreibt es so: “[…] By using these figurines throughout the room, the gallery itself has become an open landscape. The scenery in which these people intervene. (Mit diesen Figürchen, die ich über den gesamten Raum verteilt benutze, wird die Galerie zu einer offenen Landschaft. Sie wird zu einer Szenerie, in die diese Menschen eintreten.)”

Der Ausstellungsbesucher erlebt durch die aktuelle Installation von Mark Kramer den großen Galerieraum in einer Raumweite und 3-Dimensionalität, die er selbst beschreiten kann. Vor allem durch das Größenverhältnis zu den kleinen Blatt-Figuren nimmt er sich und seine Umgebung anders wahr. Kramer suggeriert dem Besucher eine Landschaft innerhalb des großzügigen nüchternen Ausstellungsraumes, in der er sich davor hüten muss, nur eine der Figuren wie eine Ameise zufällig zu übersehen und zu zertreten. Diese Fragilität wird durch die an Metallstäben montierten und in Bewegungsrichtung geneigten Blätter anstelle von menschlichen Köpfen noch gesteigert. Mit den kleinen Blatt-Figuren, die Kramer als maschinell gefertigte Modellbaufiguren kauft, köpft und mit den Stäben und Blättern versieht, versucht er nach eigener Aussage die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens aufzugreifen und bildlich darzustellen. Doch warum ersetzt Kramer die Köpfe der Figuren durch Blätter? Gibt er so einen Hinweis auf den Verlust des eigenen Willens des Menschen?

Der Aspekt der Einsamkeit und Isolation des Menschen ist vorherrschend in den im kleineren Ausstellungsraum gezeigten Werken. In ihren eigenen Kreisen sind die Modellfigürchen bildlich gefangen. Ratlos, oft verärgert oder auch aggressiv und ängstlich gibt es für sie kein Entkommen aus einer imaginären weißen Landschaft.

Bereits seit Anfang 2000 entwirft Mark Kramer in seinen Installationen mit Hilfe kleiner Modellfiguren figurale Traumwelten, in die der Betrachter einbezogen wird und so zum Bestandteil des Werkes wird. Auch wenn sich die Technik und Mittel bzw. Materialien seiner Arbeiten ähneln, erhalten sie ihre individuelle Ausdruckskraft durch den jeweiligen Installationskontext bzw. das Umfeld, in dem Kramer die Figürchen miteinander arrangiert. Als roter Faden lässt sich jedoch in Kramers Oeuvre eines erkennen: die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung: der Mensch als ein verwundbares, verletzliches, trotz seiner sozialen Einbindung in Einsamkeit gefangenes Wesen – in einer Umgebung lebend und sich bewegend, sei es als Raum oder Natur.

Johanne Weber, Kunsthistorikerin, Düsseldorf


© GALERIE PETRA NOSTHEIDE- EŸCKE

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